Börsenbericht: Wackelige Rekordstände
Nach dem Kursanstieg in der letzten Septemberwoche zeigte sich der Oktoberbeginn mit Gewinnmitnahmen. Hintergrund war ein abermals eskalierender Nahost-Konflikt, der die Kursentwicklung belastete. Zudem drückten Sorgen, dass die Erwartungen an weitere US-Zinssenkungen und die chinesischen Konjunkturprogramme überzogen sein könnten, auf die Stimmung an den Aktienmärkten.
Die KI-Chip-Aktie Nvidia erreichte dennoch neue Rekordhöhen, mit denen der Börsenwert des Unternehmens auf dreieinhalb Billionen US-Dollar kletterte. Nachdem die US-Berichtssaison mit guten Geschäftsergebnissen von Großbanken wie JP Morgan begonnen hatte, verfehlten der Mikrochip-Maschinen-Hersteller ASML, der Luxusgüter-Konzern LVMH und der US-Krankenversicherer UnitedHealth die Erwartungen, was auch andere Aktien der jeweiligen Branche belastete.
Die Mikrochip-Branche stabilisierte sich angesichts eines guten Ausblicks des größten Chipherstellers der Welt, der TSMC aus Taiwan. Der Streamingdienst Netflix konnte viele Neukunden gewinnen, bei denen Werbung geschaltet wird, was die Tech-Aktien weiter stabilisierte. Mehr Aufmerksamkeit zog die volatile Tesla-Aktie auf sich: Zunächst überzeugten die Pläne zur Einführung selbstfahrender Taxen den Markt nicht, dann überraschte der Automobilhersteller mit einer erfolgreichen Senkung seiner Produktionskosten.
Positive Konjunkturdaten aus China und den USA
Konjunktur und Arbeitsmarkt in den USA zeigen sich weiterhin in einer robusten Verfassung und auch Wirtschaftsdaten aus China fielen im Monatsverlauf nicht so schlecht aus, wie von vielen Marktteilnehmern erwartet. Angesichts der US-Präsidentschaftswahl nahm dennoch die Risikoneigung der Investoren ab. Zudem wurden die Erwartungen an weitere Leitzinssenkungen durch die Fed reduziert, was zu einem Anstieg der Anleiherenditen führte. Nachdem die Rendite der zehnjährigen US-Staatsanleihen Mitte September mit 3,6 Prozent den tiefsten Stand seit Mitte 2023 erreicht hatte, kam es in den Folgewochen zu deutlichen Kursverlusten bei Anleihen, in deren Folge die Rendite auf über 4,2 Prozent stieg.
Renditeanstieg bei zehnjährigen US-Staatsanleihen
Die Europäische Zentralbank (EZB) senkte gut einen Monat nach Beginn ihres Zinssenkungszyklus am 12. September ihre Leitzinsen ein zweites Mal. Die Einlagefazilität, also die Zinsen, die die EZB den Geschäftsbanken zahlt, wurde wieder um ein Viertel Prozentpunkt, also 25 Basispunkte, gesenkt und liegt jetzt bei 3,25 Prozent. Bei den Refinanzierungszinsen, zu denen sich die Geschäftsbanken umgekehrt Geld bei der EZB leihen können, war der erste Senkungsschritt im September mit 60 Basispunkten höher ausgefallen. Im Oktober wurden sie dann um 25 Basispunkte auf jetzt 3,4 bzw. 3,65 Prozent gesenkt.
Die Aktienmärkte verzeichneten dagegen weitere Kursgewinne. So kletterte der Dow Jones Industrial Average erstmals in seiner langen Geschichte auf über 43.000 Zähler und der S&P-500-Index auf über 5.800 Punkte. Der Nasdaq-100-Index konnte dagegen noch keine neuen Rekordmarken markieren, erreichte aber fast 20.500 Punkte, womit das Rekordhoch aus dem Juli bei 20.690 Zählern nur rund ein Prozent entfernt ist.
MSCI World
Der europäische Leitindex Euro-STOXX-50 pendelte nach den Gewinnen im September seitwärts, konnte sich jedoch nicht bei über 5.000 Punkten halten. Ähnlich wie beim Nasdaq-Index steht bei einer Annäherung an die Jahreshochs, die in diesem Fall bei gut 5.100 Zählern im April und Mai erreicht wurden, einem Mangel an Anschlusskäufen eine höhere Verkaufsbereitschaft von Anlegern gegenüber. Der deutsche Aktienindex DAX erreichte dagegen Mitte Oktober einen neuen Rekordstand bei 19.674 Punkten.
Nachdem Maßnahmen der chinesischen Zentralbank People‘s Bank of China (PBoC) in der zweiten Septemberhälfte eine Kursrallye ausgelöst hatten, setzten Gewinnmitnahmen ein und ein Großteil der Kursgewinne ging wieder verloren. Anleger vermissten eine Konkretisierung der Maßnahmen. So sackte der Hang Seng Index der Börse in Hongkong, der in der Spitze der Kursrallye Anfang Oktober 23.240 Zähler erreicht hatte, wieder bis auf 20.000 Punkte ab und pendelte sich dann zwischen 20.000 und 21.000 Zählern ein.
Goldpreis weiter im Aufwind
Der Goldpreis setzte seinen Aufwärtstrend fort und kletterte erstmals in seiner Geschichte über 2.750 US-Dollar. Dagegen startete der Silberpreis eine Aufholrallye, nachdem das Gold-Silber-Preisverhältnis im September nahe dem Mehr-Jahres-Hoch von rund 90 zu 1 gelegen hatte. Mit 34,86 US-Dollar pro Unze wurde der höchste Preis seit 2012 erreicht. Die Goldnachfrage stützt sich vor allem auf die Goldkäufe von Notenbanken, die seit Jahren ihre Goldreserven ausbauen. Für Silber ist dagegen die industrielle Nachfrage ungleich wichtiger, weil es die höchste elektrische und thermische Leitfähigkeit aller Metalle besitzt. So ist Silber ein wichtiger Rohstoff für Photovoltaikanlagen.
US-Präsidentschaftswahlen und Börse
Selten dürfte der Ausgang von Präsidentschaftswahlen in den USA sowohl im Land selbst als auch im Rest der Welt mit solcher Spannung erwartet worden sein, wie dieses Mal. Über die Auswirkungen lässt sich auf Basis der Wahlaussagen und -programme in vielerlei Hinsicht spekulieren. Dies gilt auch bezüglich der Effekte an den Börsen. Wie üblich werden in den Wochen vor der Wahl vermeintliche Gewinner und Verlierer gehandelt. Die Öl- und Gaswirtschaft galt als ein Profiteur der ersten Präsidentschaft von Trump und könnte ihre Großspenden für ihn wohl als gutes Investment verbuchen, wenn er wieder ins Weiße Haus einzieht. So leugnet der Rechtspopulist nicht nur den Klimawandel, sondern erklärt die Erderwärmung wie jüngst bei einem Wahlkampfauftritt zu „einer guten Sache“, weil dann mehr Küstengebiete entstehen würden.
Börsenauswirkungen des Wahlausgangs bleiben spekulativ
Das ist gleichermaßen widersprüchlich, wie falsch und reiht sich in eine lange Liste von Lügen ein, die seine Wähler offenbar nicht stören. Einmal mehr muss Trump nicht die Mehrheit der US-Wähler hinter sich haben, sondern nur die Mehrheit der Wahlmänner. Und so rechnen die Börsen mehrheitlich mit einem Wahlsieg Trumps. Die Kapitalmärkte gelten dabei als gute Propheten. An den Börsen wird die Zukunft gehandelt, heißt es deshalb.
Als ein Indikator für Trumps Aussichten gilt vielen der Aktienkurs der Trump Media & Technology Group (TMTG), des Mutterkonzerns hinter dem sozialen Netzwerk Truth Social. Nachdem etablierte soziale Plattformen die Verbreitung von Falschinformationen und Lügen durch Trump eingeschränkt oder zumindest kommentiert hatten, hatte Trump seine eigene „unzensierte“ Plattform gegründet. Bis in die zweite Septemberhälfte hinein hatte die TMTG-Aktie Kursverluste verzeichnet, parallel zu besseren Umfrageergebnissen für die demokratische Gegenkandidatin Harris. Aber in den vergangenen fünf Wochen, einer Zeit, in der mehr und mehr Beobachter von einem Wahlsieg Trumps ausgehen, verdreifachte sich der TMTG-Aktienkurs.
Aus Anlegersicht erscheinen Wetten auf den einen oder anderen Wahlausgang trotzdem nicht sinnvoll, zumal nüchterne Analysen zeigen, dass sich nach einem bestimmten Wahlausgang die Aktien vermeintlicher Gewinner- und Verlierer-Branchen nicht diesen Erwartungen entsprechend entwickelten. So unterstreicht die Bank of America in einer kürzlich veröffentlichten Studie, dass nicht die politische Veränderung selbst die Performance von Aktien bestimmt. Entscheidend sei vielmehr das Gewinnwachstum der Unternehmen. Der unmittelbare Einfluss des Wahlausgangs werde überschätzt. Gezielte politische Maßnahmen würden oft das Gegenteil von dem bewirken, was Investoren erwartet hätten.
Fazit: Politische Börsen haben kurze Beine
So war die Kursentwicklung bei Aktien der klassischen Öl- und Gasbranche während der Trump-Präsidentschaft eindeutig schlechter als die von Aktien aus dem Bereich der erneuerbaren Energien. Genau umgekehrt verhielt es sich während der Präsidentschaft von Biden. „Politische Börsen haben kurze Beine“, heißt es. Im Fall der Energieaktien überlagerten andere Effekte den Einfluss des Weißen Hauses.
„Sogar zielgerichtete politische Maßnahmen haben manchmal Ergebnisse, die den Erwartungen konträr gegenüberstehen,“ erklärt die Autorin der Bank of America-Studie. So sei es zweifelhaft, ob ein republikanischer Sieg im Weißen Haus und im Kongress positiv für Tesla-Aktien sei. Zwar unterstützt dessen CEO Elon Musk den Kandidaten Trump und seine republikanische Partei massiv. Tatsächlich könnte sich der Sieg aber negativ auf Tesla auswirken, da Steuervergünstigungen für Elektrofahrzeuge wahrscheinlich gefährdet wären. Und auch die Kursrallye der TMTG-Aktie könnte nicht den Wahlchancen, sondern der besseren Verfügbarkeit der Truth Social-App geschuldet sein.
Im Fazit erscheint es ratsam, vor der Präsidentschaftswahl keine panischen Veränderungen am Portfolio vorzunehmen, sondern in aller Ruhe den Wahlausgang abzuwarten – auch wenn es schwerfällt.