Die Aktienmärkte im asiatisch-pazifischen Raum haben viele Anleger nicht im Blick. Dabei ist das Anlageuniversum riesig und lässt sich nicht über einen Kamm scheren. Das zeigte sich beispielsweise im vergangenen Jahr, als China zu den größten Verlierern, der indische Aktienmarkt aber zu den Gewinnern gehörte. Inzwischen hält die Mehrheit der Experten deshalb die Chancen auf eine Kurserholung in China für größer als auf einen unterbrechungsfrei fortgesetzten Kursaufschwung in Indien.
Der chinesische Aktienmarkt hat in den beiden vergangenen Jahren unter einigen besonderen Belastungen gelitten. Spätestens mit dem von staatlicher Seite unterbundenen Börsengang des großen digitalen Finanzdienstleisters Ant Financial im November 2020 wurde deutlich, dass Peking massiv in den Unternehmenssektor eingreift. In den Folgemonaten verstärkte sich der Eindruck, dass auch börsennotierte große chinesische Unternehmen mit mehr oder weniger willkürlichen Verboten und Regeln rechnen müssen, wenn die Staatsführung eigene Ziele damit verfolgen will.
Ohne Rücksicht auf wirtschaftliche Verluste setzte Peking etwa seine Zero-Covid-Politik durch. Millionenstädte wurden faktisch lahmgelegt und wichtige Häfen stellten den Betrieb ein. Die Lehre daraus sollten ausländische Investoren auch in Zukunft nicht vergessen. China ist keine Demokratie und kein Rechtsstaat westlicher Prägung. Staatlich Eingriffe müssen nicht auf Basis von Recht und Gesetz erfolgen, sondern können kurzfristig und willkürlich von Peking angeordnet werden. Alles muss den Zielen
der autokratischen Machthaber dienen. Vor dem Parteitag im November dieses Jahres will Präsident Xi Jingping Erfolge vorweisen. Die Partei soll so seine zunehmend diktatorische Macht festigen. Während für viele Investoren chinesische Staatsanleihen grundsätzlich aus ethischen Gründen nicht investierbar sind, unterziehen sie Aktien einer ESG-Bewertung nach Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungskriterien.
Für den chinesischen Aktienmarkt sprechen jetzt vor allem zyklische Gründe. Während alle anderen großen Volkswirtschaften vor einer konjunkturellen Abkühlung stehen, hat China diese bereits hinter sich. Die Aktienkurse stehen inzwischen in einem günstigen Verhältnis zu den Unternehmensgewinnen. Das durchschnittliche Markt-KGV liegt bei rund 11. Gleichzeitig kann die Geldpolitik in China unterstützend bleiben, denn die Inflation ist mit rund zwei Prozent vergleichsweise gering. Die Zinsen könnten sogar noch gesenkt werden, während nahezu alle anderen Volkswirtschaften die Zinsen erhöhen müssen, um die Inflation zu bekämpfen. Allerdings muss Peking die Gefahr von Kapitalabflüssen beachten. Die Zehn-Jahres-Zinsen liegen in China knapp unter drei Prozent, in den USA dagegen leicht darüber.
Der indische Aktienmarkt ist dagegen verhältnismäßig hoch bewertet. Das Markt-KGV kommt auf Basis der Gewinnschätzungen für die nächsten zwölf Monate auf rund 20. Taktisch, also auf Sicht weniger Monate, ist wohl eher Zurückhaltung angesagt. Strategisch und damit auf längere Sicht bietet Indien hohes Wachstumspotenzial. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wuchs in den vergangenen Jahren stärker als in China. Vor allem die wachsende Mittelschicht hat riesiges wirtschaftliches Potenzial. Die Experten des Entwicklungsprogrammes der Vereinten Nationen, einem Exekutivausschuss innerhalb der Generalsversammlung, erwarten von 2009 bis 2030 eine Versechsfachung der indischen Mittelschicht auf 3,23 Milliarden Menschen. Mehrere Kapitalmarktexperten sehen darin gute Perspektiven unter anderem für den Finanzbereich und investieren beispielsweise in indische Banken.
Aber auch unterhalb von China und Indien mit ihren Milliarden-Völkern ist der asiatisch-pazifische Raum interessant für Aktieninvestoren. Die Aktienkurse der großen Chiphersteller aus Taiwan und Südkorea litten im laufenden Jahr unter der Schwäche der Technologie-Aktien. Auf der anderen Seite kann die riesige Nachfrage nach Mikrochips nicht befriedigt werden. Das Markt-KGV für die Region Asia ex Japan liegt bei rund 12 und damit unter seinem eigenen langfristigen und dem internationalen Durchschnitt.
Aber auch Japan sollte man nicht aus den Augen verlieren. Dort ist die Inflation ebenfalls gering, sodass die Bank of Japan die Zinsen niedrig halten kann. Der gewachsene Zinsvorsprung hat den japanischen Yen auf den tiefsten Stand gegenüber dem US-Dollar seit 20 Jahren geführt, was wiederum die Wettbewerbsfähigkeit der japanischen Exportwirtschaft auf den Weltmärkten stärkt bzw. für sogenannte Windfall-Profits sorgt. Das reale Wirtschaftswachstum des als wachstumsschwach geltenden Japan dürfte in diesem Jahr über drei Prozent liegen und damit das Wachstum vieler anderer Volkswirtschaften übertreffen.
Fazit: Der asiatisch-pazifische Raum ist nicht nur langfristig ein strategisches Standbein für Aktieninvestoren, sondern birgt aktuell mehr Chancen als Risiken für einen Einstieg. Das aus sehr unterschiedlichen Volkswirtschaften und Branchen bestehende Anlageuniversum bietet vor allem aktiven Fondsmanagern eine große Auswahl für ihr Stock Picking, also der Suche nach aussichtsreichen Einzeltiteln.