Hauptbelastungsfaktor für die Börsen blieb in den vergangenen Wochen die Zinswende. Gute Konjunkturdaten in den USA wurden deshalb sogar an der Wallstreet mit Kursverlusten quittiert. In den USA herrscht nahezu Vollbeschäftigung. Ein solches Umfeld sorgt dafür, dass Unternehmen der Forderung nach höheren Löhnen nachgeben oder diese zahlen müssen, um neue Arbeitskräfte zu finden. Zu den ohnehin schon höheren Beschaffungskosten für Material kommen somit steigende Lohnkosten hinzu. Natürlich versuchen Unternehmen, diese Kostensteigerungen durch Preiserhöhungen weiterzugeben. In den USA hat die sogenannte Lohn-Preis-Spirale sich zu drehen begonnen. Entsprechend entschlossen muss die Notenbank Fed die Inflation bekämpfen, die mit 8,6 Prozent den höchsten Stand seit 1981 erreichte.
Am 15. Juni erhöhte die US-Notenbank ihren wichtigsten Leitzins, die Fed Funds Rate, ein zweites Mal in diesem Jahr. Dieser zweite Zinsschritt fiel mit 0,75 Prozentpunkten ungewöhnlich hoch aus, was unmittelbar zuvor erwartet worden war. Die Fed Funds Rate stieg damit auf 1,50 bis 1,75 Prozent. Die Tagesgeldsätze für US-Dollar folgten diesem Leitzins sofort. Sie sprangen von 0,9 Prozent am 15. Juni auf 1,67 Prozent am 17. Juni. Noch am Jahresbeginn gab es praktisch keine Zinsen auf täglich verfügbares US-Dollar-Guthaben.
Am Anleihemarkt führte die 180-Grad-Wende der US-Notenbank zu einem starken Anstieg der Renditen. Insbesondere die laufende Verzinsung von Anleihen mit kurzer Restlaufzeit schoss nach oben. So stieg die Verzinsung von US-Staatsanleihen mit fünf Jahren Laufzeit von 1,26 Prozent zum Jahreswechsel auf 3,6 Prozent Mitte Juni – ein Anstieg um 234 Basispunkte und damit fast eine Verdreifachung der Rendite binnen eines halben Jahres. Bei den vielbeachteten US-Staatsanleihen mit zehn Jahren Laufzeit stieg die Rendite vom Jahresbeginn bis Mitte Juni von 1,51 auf 3,48 Prozent – ein Anstieg um 197 Basispunkte. US-Staatsanleihen mit 30 Jahren Laufzeit brachten zum Jahreswechsel beim Kauf 1,90 Prozent Rendite. Mitte Juni waren in der Spitze 3,43 Prozent zu erzielen – ein Anstieg um 153 Basispunkte. Darin spiegelt sich die Markterwartung wider, dass die hohe Inflation in den kommenden Monaten mit höheren Zinsen bekämpft werden muss, sich aber nicht für viele Jahre festsetzt.
Während normalerweise Anleihen mit längeren Laufzeiten stärkere Kursausschläge zeigen, trafen die Zinsentwicklung die kürzeren Laufzeiten im ersten Halbjahr ungewöhnlich hart. Auch Fonds, deren Manager sich von US-Anleihen mit wenigen Jahren Laufzeit ein gutes Rendite-Risiko-Verhältnis erhofft hatten, mussten mit diesen Investments im ersten Halbjahr Kursverluste hinnehmen.
An den Aktienmärkten litten in den vergangenen Wochen insbesondere Technologie-Aktien weiter unter der Befürchtung, die US-Notenbank müsse die Zinsen zur Inflationsbekämpfung schneller und weiter anheben. Zwischenzeitliche Erholungen an der von Technologie-Aktien geprägten Nasdaq vermochten den übergeordneten Abwärtstrend nicht zu brechen. Mitte Juni fiel der Nasdaq-100-Index bis auf 11.037 Zähler, was seit Jahresbeginn einen Verlust von 32 Prozent bedeutet. Der Dow Jones Industrial Average fiel zeitweilig unter 30.000 Punkte, ein Minus von 18 Prozent im laufenden Jahr.
Nach der US-Notenbank kündigte auch die Europäische Zentralbank (EZB) das Ende ihrer Netto-Anleihekäufe und Zinserhöhungen an. Bei der nächsten regulären Sitzung des EZB-Rates im Juli will die EZB ihre Leitzinsen erstmals seit elf Jahren wieder erhöhen, zunächst um jeweils 0,25 Prozentpunkte. Im September dürften Europas Währungshüter dann eine weitere Zinserhöhung vornehmen – bei anhaltend hoher Inflation sogar stärker als im Juli. Die Ankündigung wurde von den Märkten als überfällig bewertet. Andere europäische Notenbanken haben im Kampf gegen die Inflation ihre Leitzinsen bereits erhöht, darunter überraschend auch die Schweizerische Nationalbank (SNB). Dies belastete die Börsen zusätzlich.
Der Euro-STOXX-50 sackte im Juni auf kaum mehr als 3.400 Punkte ab. Auf dieses Niveau war der Euro-Zonen-Leitindex kurzzeitig schon Anfang März gefallen, als die Börsen auf den russischen Angriff auf die Ukraine reagierten.
Sichere Häfen, also Investments, die sich in dem schwierigen Umfeld dem Abwärtstrend entziehen konnten, gab es kaum. Gegen den vorherrschenden Trend an den Aktienmärkten stiegen im ersten Halbjahr die Aktienkurse der Ölkonzerne. Sie profitierten vom Anstieg des Ölpreises, der von knapp 80 US-Dollar pro Barrel bis über 110 US-Dollar stieg. Im Juni wurde dieser Aufwärtstrend nicht mehr bestätigt. Eine schwächere Weltkonjunktur dürfte die Nachfrage nach Öl auf dem Weltmarkt dämpfen.
Der Goldpreis war in Reaktion auf den russischen Angriffskrieg im März auf zeitweilig mehr als 2.000 US-Dollar pro Unze gestiegen. Dieses Niveau konnte die Krisenwährung Gold aber nicht halten. Schon im Mai kehrte der Goldpreis wieder auf gut 1.800 US-Dollar zurück.
Große Verlustbringer waren Kryptowährungen. Mehrere sogenannte Stable Coins, Digitalwährungen mit dem Ziel eines festen Wechselkurses zum US-Dollar, konnten ihr Kursniveau nicht halten. Dadurch wurde der Verkaufsdruck auch auf andere Kryptowährungen übertragen. Dieser verstärkte sich durch erhöhte Verkäufe der sogenannten Mining-Unternehmen, die mit großem Rechner-Aufwand neuen Einheiten der Kryptowährungen „schürfen“. Angesichts stark steigender Energiekosten müssen sie Krypto-Guthaben
verkaufen, um die laufenden Kosten zu decken. Dann stellte der Kryptokreditplatz Celsius Network wegen der Marktverwerfungen alle Transaktionen zumindest vorübergehend ein, was das Vertrauen in Digitalwährungen weiter belastete. Die Marktkapitalisierung aller fast 20.000 Kryptowährungen fiel gegenüber dem Hoch im vergangenen November von fast drei Billionen US-Dollar auf weniger als 900 Milliarden US-Dollar.